Das Predigtwort am 5. Sonntag der Passionszeit steht im Neuen Testament der Bibel, im Markusevangelium, Kapitel 10, (Verse 35 bis 38. und 41 bis 44):
Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen: Meister, wir wollen, dass du für uns tust, um was wir dich bitten werden. Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue? Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. […]. Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes. Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.
Liebe Leserinnen & Leser,
bringen wir es am Anfang gleich auf den Punkt. Die, aus meiner Sicht unverschämt klingende Anfrage der beiden Freunde Jesu nach dem Sitzen zu seiner Rechten, also den Ehrenplatz schlechthin zu haben, führt zu der Frage: Liegt das Streben nach Anerkennung oder gar Macht einfach in uns? Ja mehr noch, das Bild des Sitzens zur Rechten, ist von je her ein Bild für eine Person, der Gewalt und Herrschaft gegeben ist. Liegt also der Hang zur Gewalt in unserer Natur? Das Herrschen wollen? Können Menschen letztlich nicht anders? …
Vielleicht war die Versuchung für Jakobus und Johannes einfach besonders groß. Die Jünger waren später die Keimzelle der Kirche. Aber auch der kirchlichen Hierarchie. Eine lange, mitunter traurige und beschämende Kette, schließt sich im Laufe der Geschichte an: Päpstliche Kriegsherren. Verweltlichte Fürstbischöfe. Korrumpierte russisch-orthodoxe Würdenträger, die den aktuellen Krieg bis in den Westen hineintragen wollen.
Unser Predigtwort erzählt von Jakobus und Johannes. Ehemalige Fischer. Jünger der ersten Stunde. Seit Jahren sind sie mit Jesus durchs Land gezogen. Haben erlebt, wie eine Bewegung entstanden ist. Gehörten immer zum innersten Kreis. Jetzt fordern sie Jesus heraus. Anders kann man das nicht nennen. Meister, wir wollen, dass du für uns tust, um was wir dich bitten werden. Scheinbar demütig nennen sie Jesus »Meister«. Und sie geben vor, ihn zu »bitten«. Aber das »wir wollen« ist unüberhörbar. Und was wollen sie? Dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit. Herrschen wollen sie. Chef sein. Vorne sitzen. Dass die anderen Jünger murren – mehr als verständlich.
Jesus antwortet auf die Situation mit einem Satz, der unter die Haut geht: »Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.« Verweist Jesus hier auf eine unendliche und traurige Geschichte, die bis heute andauert? Von den Pharaonen bis zu Präsident Assad. Von Cäsar bis Putin. Von Herodes bis Xi Jinping. Autokraten, die die Unterdrückung ihrer Völker nur mit Gewalt aufrechterhalten können.
Jesus sieht klar: Herrschen und Gewalt gehören zusammen. Und je absoluter die Herrschaft, umso stärker die Gewalt. Das ist die Natur des Herrschens. Demokratien versuchen, das in den Griff zu bekommen. Durch Wahlen, Gesetze, Verträge und Bündnisse soll die zerstörerische Seite der Macht im Zaum halten. Die Gewalt gehört zur Natur des Herrschens, das wohl schon eher als zur Natur des Menschen. Jesus verweist nicht darauf, weil er den Staat an sich kritisieren will. Den nimmt er als gegeben hin. Aber er erinnert an diese grausame Wirklichkeit, als auch in seiner Umgebung der unbedingte Wille zur Macht schreckliche und menschenverachtende Konsequenzen mit sich brachte. Er fragt seine beiden Freunde und auch uns heute mit seinen Worten direkt an: Welche Interessen leiten uns in unserem Handeln und Wollen?
»Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.« Jesus richtet sich mit diesen Worten an uns Menschen, so wie wir sind. Er sagt nicht: Ihr dürft nicht groß sein wollen. Ihr dürft nicht die Ersten sein wollen. Wahrscheinlich weiß er: So ist der Mensch nun einmal. Das Neue ist nicht, dass Menschen ihr Streben unterdrücken sollen. Sondern Jesus möchte uns auf ein anderes Ziel hinlenken. Wer groß sein will, soll sich durch Dienen hervortun. Der Philosoph Friedrich Nietzsche hatte dafür nur den herablassenden Kommentar übrig, das sei Sklavenmoral. Die Moral also von denen, die im gesunden Kampf um die Macht nicht mithalten können. Das sieht Jesus anders. Den Preis bei so vielen Leistungsanforderungen bekommen auch diejenigen, die ihre Mitmenschen nicht vergessen und mit nach vorne bringen. Denn darum geht es beim Dienen: Nicht ausschließlich und nur meine eigenen Interessen im Blick zu haben. Sondern auch das, was den anderen nützt.
Hier zeigt sich gerade einmal wieder dieser Tage: die Botschaft Jesu ist hochaktuell. Jesus, so denke ich, predigt hier keine Botschaft der Schwäche. Auch er will dem Bösen und Ungerechten nicht das Feld überlassen. Sich dem preisgeben und ausliefern oder sich einfach aus der Welt zurück ziehen – manchmal, so scheint es, klingen die Worte von Jesus wirklich danach. Gerade dann, wenn er zur Feindesliebe aufruft. Aber ich denke, Jesus macht hier den beiden Jüngern Jakobus und Johannes und auch uns deutlich: Unter Christinnen und Christen sollten wir aus der Gemeinschaft der Liebe Gottes zu uns Menschen leben. Der Liebe, die die andere Person genauso, wenn nicht gar höher ansieht als sich selbst. Die Liebe, die in dieser Welt, mag sie auch noch so sehr aus den Fugen geraten sein, uns auf Menschen zugehen und ihnen nachgehen lässt. Das gilt nicht nur für den Umgang mit den Flüchtlingen, die jetzt zu uns kommen. Das gilt auch, und mag es noch so schwer sein, auch mit Blick auf Russland. Nicht nur den Menschen des guten Willens, sondern auch den Mächtigen und Kriegsprofiteuren, ist klarzumachen: für Gewaltbereitschaft ist in unserem Glauben und unserer Kirche kein Platz. Sondern für Taten und Zeichen der Hoffnung, di uns einander vertrauen lassen. Denn letztlich geht es zwischen uns Menschen im Dasein füreinander nach Jesus darum, den anderen oder die andere als das zu sehen, was er oder sie wirklich ist: eine neben mir gleichberechtigte Person, von Gott genauso geliebt und gewollt, wie ich es bin. Das haben die Jünger Jesu damals verstanden. Mögen wir es dieser Tage auch verstehen. Amen.
Gott schenke uns diese Sicht der wertschätzenden Liebe. Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag. Der Friede Gottes, bewahre unsere Herzen und Sinne, in Jesus Christus, unseren Herrn. AMEN!
Ihr Pfr. Paul-Gerhard Feilcke.